Berit Myrebøe schafft imaginäre Landschaften auf Aluminium oder auf Papier, indem sie Bilder und Materialien schichtet. Die Technik erinnert an die Fotografie der Avantgarde der 1920er und 1930er Jahre, als die fotografische Überlagerung zunächst aus einem Unfall entstand und KünstlerInnen in der Folge das Fotopapier mehrfach bedruckten oder mehre- re Negative im Entwicklungsprozess kombinierten.
Doch Myrebøe macht mehr als „nur“ Fotografie. Vielmehr kämpft sie gegen die Fotografie, indem sie diese Schicht für Schicht ändert. Ihre Arbeiten beginnen also lediglich mit einem Foto – dem einer Landschaft oder eines menschlichen Körpers. Bei der Auswahl dieser „Foto-Skizzen“ (so die Künstlerin) bevorzugt sie Aufnahmen, die eine Bewegung, einen Moment des Übergangs festhalten, etwas undeutlich sind und bereits einen malerischen Aspekt aufweisen. „Übergang“ ist ein Schlüsselwort in Myrebøes Arbeitsweise, denn das Motiv bleibt nie dasselbe.
Ihre Foto-Skizzen überträgt die Künstlerin auf Aluminiumplatte, und zwar mithilfe des Um- druckverfahrens, einer Drucktechnik, mit der etwa in der Lithografie das spiegelverkehrte Bild wieder gewendet wird. Einmal auf Metal, entfernt Myrebøe den Kontext ihres Haupt- motivs mittels diverser Lösungsmittel und fügt Schichten oder Elemente mit Ölfarbe hinzu. Von dieser Intervention macht sie erneut ein Foto, das über mehrere Zyklen auf die gleiche Weise behandelt werden kann.
2021
„SET*IN”
Berit Myrebøe, Malerei Geschichtete Lichtbilder
In den Papierarbeiten überlagert Myrebøe dabei Blätter unterschiedlicher Textur, Weiß- abstufung und Transparenz. Sie kratzt und schmirgelt Teile der zuvor gedruckten, trans- ferierten Bildunterlage weg, zeichnet und malt auf ihr mit Kohle, Kreide, Ölfarbe und Farbsprays. Durch das Auftragen von Lacken oder Leinöl gewinnt sie transparente oder glänzende Bildpartien, womit sie Details des „Original“-Bildes – von dem sie sich mehr und mehr entfernt – hervorhebt oder verbirgt. Auf diese Weise verwandelt sich die initiale Fotografie zunehmend in eine Zeichnung, Collage oder Malerei.
Die Künstlerin arbeitet häufig seriell mit demselben Motiv, das sie jedoch mit unterschiedlichen Schichten überlagert und unterschiedlich überarbeitet, um jeweils bestimmte Elemente zu betonen. Die Wiederholung des Motivs erinnert an Filmsequenzen – auch wenn Myrebøe keine Geschichte erzählt. Es handelt sich vielmehr um nebeneinander gestellte Momentaufnahmen, Traumfetzen oder Erinnerungen.
Die Wiederholung appelliert schließlich an ein vergleichendes Sehen. Die Frauenportraits etwa sind nur auf den ersten Blick identisch. Dann entdeckt man die verschiedenen Hintergründe und die unterschiedliche Techniken, das gedruckte Bild zu bearbeiten, welches fast zerstört wird, um Licht oder ein verstecktes Motiv durch das Papier aufscheinen zu lassen. Myrebøe nennt ihre Arbeiten „Lichtbilder“ und findet sich somit trotz oder gerade wegen ihrer Interventionen letztlich wieder an ihrem Ausgangspunkt: der Fotografie.
(Text : Conny Becker, DIEresidenz, 2019)